Das Wort "Freiwillig" tragen wir mit besonderem Stolz in unserem Namen

Neue Zeiten, neue Köpfe! Kaum, daß im Mai 1945 die Kapitulationsurkunde unterschrieben war, zeichneten sich auch in den Städten und Gemeinden des Kreises erste personelle Veränderungen ab. Die Fäden im Birkenauer Rathaus liefen bei Georg Hirt zusammen, der von 1945 bis 1948 als Ortsoberhaupt füngierte. Sein Einfluß war indessen stark einge-schränkt. Hirt mußte sich -der Zeit entsprechend - auf die Erfüllung administrativer Vorgaben konzentrieren, die ihm von den alliierten Streitkräften diktiert wurden. Den Ton im Kreis Bergstraße gab der "Comanding Officer" an, der in Heppenheim im Haus des heutigen Kreisgesundheitsamtes Quartier bezogen hatte.

Mit einer Flut von Aufrufen, Ver- und Anordnungen unternahmen die Amerikaner den Versuch, das darniederliegende öffentliche Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Besonders große Sorgen machten sich die Offiziere dabei um die deutsche Jugend, die sie vor negativen Einflüssen schützen wollte. "Die Jugend", so verlautete aus der Heppenheimer Schaltzentrale, "bedarf einer völlig neuen Ausrichtung." Nicht zuletzt deshalb mußte das Vereinswesen einem besonders kritischen Auswahlverfahren standhalten können. Fast jeder, der Bedarf an organisierter Tätigkeit auf kulturellem oder sportlichem Sektor anmeldete, mußte persönlich vorsprechen und eine Art "Gesichtskontrolle" über sich ergehen lassen. Betroffen davon waren natürlich auch unsere Feuerwehren, denen aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes (Helm und Koppel) besonders starkes Mißtrauen entgegenschlug.

Die Skepsis des "Comanding Officers" erwies sich indessen als unbegründet. Trotzdem mußten fast noch zwei Jahre ins Land ziehen, bis auch die Freiwillige Feuerwehr Birkenau den Tag ihrer "Wiederauferstehung" erleben durfte. Zum ersten Kommandanten der Nachkriegszeit wurde bei der konstituierenden Sitzung im Jahr 1947 Franz Sachs gewählt, der bereits nach dem Zusammenbruch 1945 vom Landrat kommissarisch eingesetzt worden war. Zu Sachs' Stellvertreter berief die Versammlung Peter Schäfer. War die Not auch noch so groß, so wurde der bitterarmen Zeit zum Trotz dennoch gefeiert. Im gleichen Jahr nämlich fand der erste Feuerwehrball nach dem Kriege statt, zwar noch in bescheidenem Rahmen, aber immerhin. Ausgeschenkt wurde übrigens "Äppelwoi", den Landwirte aus Birkenau und Kall-stadt gestiftet hatten.

Zwei Jahre zuvor noch hatte in Birkenau niemand so recht an eine Wiedergeburt des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens glauben wollen. Hitler-Deutschland hatte auch in unserer Gemeinde tiefe seelische Spuren hinterlassen, die sich nicht selten in Resignation niederschlugen. Kameraden, die auch nur im leisesten Verdacht standen, mit der NSDAP gemeinsame Sache gemacht zu haben, wurden aus der Wehr entfernt. Heim-kehrende Soldaten hatten die Nase gestrichen voll und sorgten sich - verständlicherweise - erst einmal um sich und ihre Familien, bevor sie wieder für die Allgemeinheit tätig werden wollten. An eine Jubiläumsfeier zum 50jährigen Bestehen, das 1945 anstand,

war unter diesen Voraussetzungen natürlich nicht zu denken. Zusammen mit dem Kommandanten waren es gerade mal sechs Männer, die sich für den organisierten Brandschutz zur Verfügung stellten. Der Rumpfmannschaft standen folgende Geräte zur Verfügung: eine Motorspritze, eine Saug-und Druckpumpe, ein Hydrantenwagen, eine mechanische Leiter, ein Schlauch wagen.

Dennoch, das Leben mußte weitergehen, irgendwie weiter-gehen. Wilhelm Dengler, der erste Landrat nach dem Zusammen-bruch, richtete denn auch an die Bevölkerung den Appell, mit Optimismus und Mut an den Aufbau eines neuen, besseren Deutschland heranzugehen.
Unvergessen bleibt Denglers Silvesteraufruf 1945/46, in dem er jene drei Worte formulierte, die sich als Schlagzeile zwar gut machen, in der Realität inzwischen aber schon zigfach gebrochen worden sind: "Nie wieder Krieg". Der Landrat und seine Mitstreiter in den Bürgermeisterämtern des Kreises standen vor einer fast aussichtslosen Situation. Der Flüchtlings-strom aus dem Osten, der sich auch über Birkenau ergoß, verschärfte die eh schon angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt. Die Transportverhältnisse waren miserabel, die Versorgung mit Lebensmitteln katastrophal.

Das Interesse, dem Gemeinwohl zu dienen, war praktisch auf dem Nullpunkt angelangt und wurde - wenn schon vorhanden - von den Militärs erschwert. Trotzdem hatte sich bald die Einsicht durchgesetzt, daß zumindest den Hilfsorganisationen keine weiteren Steine mehr in den Weg gelegt werden dürfen. Eine Gemeinde ohne Wehr? - undenkbar!

Bald wurde damit begonnen, eine Pflichtwehr aufzustellen. Wer sich dem Beitritt verweigerte, mußte damit rechnen, als "Gesetzesbrecher" abgestempelt und bestraft zu werden. Hand und Fuß und vor allem Herz bekam die Feuerwehr Birkenau aber erst, als das Prinzip der Freiwilligkeit wieder mehr und mehr Fuß faßte. Bereits eineinhalb Jahre nach Kriegsende, im Oktober 1946, zählte unsere Wehr 46 aktive Kameraden. Passe war endgültig die Zeit des Führerprinzips, passe auch die Tage, in denen vom grünen Tisch aus unter Androhung von Zwangsmaßnahmen Pflichtwehren installiert werden mußten.

Das Wort "Freiwillig", das wir mit Stolz im Namen führen, leitet sich von frei ab. Wir haben uns die Freiheit genommen, als freie Bürger freiwillig zu helfen. In 100 Jahren Birkenaucr Feuerwehrgeschichte mußte diese Freiheit oft mit großen Opfern bezahlt werden. Das Schicksal bestätigte dabei ein altes Sprichwort: "Freiheit, wie gering, ist doch ein teuer Ding."

Quelle: Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum im Jahr 1995

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